Pantanal
Am Mittwoch dem 12. Dezember fliegen wir von São Paulo nach Campo Grande, der Hauptstadt des Bundesstaats Mato Grosso do Sul. Dort werden wir von unserem deutschspachigen Guide Stefan Grol abgeholt und mit dem Auto zum 140 km entfernten kleinen Flugplatz von Aquidauana gebracht. Hier starten wir mit einer sechssitzigen Cessna Richtung Pantanal.
Der Blick von oben auf die typische klein gegliederte bunte Pantanallandschaft ist äußerst beeindruckend.
Unser Ziel ist die im südlichen Pantanal in der sogenannten "Nhecolandia" gelegene Fazenda "Baía das Pedras".
Hier werden wir von Dona Rita begrüßt, die die 14.000 Hektar große Farm von ihrem Vater geerbt hat und mit ihrem Mann Sr. Carlos auf dem Gelände extensive Rinderzucht betreibt. Da Dona Rita sehr kontaktfreudig ist, öffnet sie ihre Fazenda auch für Gäste, maximal 5 Zimmer stehen für Besucher zur Verfügung. Außer uns logieren hier zur Zeit drei Wissenschaftler des "Projeto Tatu-Canastra" (Projekt Riesengürteltier), namentlich Projektleiter Arnaud Desbiez, Biologe Gabriel Massocato und Danilo Kluyber, der Tierarzt, sowie deren Gäste Tim Tetzlaff, Direktor des Zoos von Naples in Florida, der das Projekt finanziell unterstützt, mit seiner Kollegin Julie.
Am besten kann man das Projekt Tatu-Canastra mit dem Film "Hotel Armadillo" vorstellen, der 2016 von der BBC auf der Fazenda Baía das Pedras gedreht wurde.
Gleich am ersten Abend lernen wir in unmittelbarer Umgebung des Farmhauses unser erstes Gürteltier kennen, allerdings kein Riesengürteltier, sondern ein eher häufig vorkommender "Tatu Peba".
Die Fazenda ist eine gemütliche Basis für unsere Ausflüge, von denen wir je vormittags und nachmittags einen unternehmen. Da das Wasser bereits verhältnismäßig hoch steht, ist mit dem Jeep kein Durchkommen. Daher beschließt Dona Rita, einen einachsigen Anhänger an einen Traktor zu hängen und zwei gepolsterte Planken als Sitzbänke zu montierten.
So starten wir also zu unserem ersten morgendlichen Ausflug:
Wir dürfen heute Vormittag die Wissenschaftler bei ihrer Arbeit begleiten und müssen einen Transponder suchen, den Riesengürteltier "Emanuel" verloren hat.
Unser Traktor hat gleich eine Panne, es hat ein Radlager zerlegt, Donizetti ruft in der Farm an, damit jemand mit den Ersatzteilen kommt. Gemeinsam wird am Radlager herumgetüftelt und "kaum zu glauben, man kann auch mit dem Hammer schrauben".
In der heißen Zeit über Mittag machen wir Siesta in einer der Hängematten, die sternförmig unter dem großen Mangobaum vor dem Farmhaus aufgehängt sind. Hier im Schatten kann man die hohen Temperaturen ertragen.
Der nächste Ausflug findet erst am Abend statt. Diesmal holen wir mit den Wissenschaftlern einige Kamerafallen ein, die an den Eingangslöchern von zwei verschiedenen Gürteltier-Höhlen platziert waren:
Die Bilder der Kamerafallen werden gleich am Abend ausgewertet und Gabriel hält für uns einen Vortrag über die Funktion der Camera Traps und zeigt uns die heutige Bilder-Ausbeute.
Am folgenden Tag ist Donizetti, unser Traktorfahrer und gleichzeitig Vorarbeiter der Viehhirten, anderweitig beschäftigt - eine Herde Kühe soll besamt werden. Also fährt uns die Chefin Dona Rita selbst.
Wir sehen wieder die unterschiedlichsten Tiere: neben unzähligen mehr oder weniger seltenen Vogelarten auch einen Tatu Galinha (eine weitere Gürteltier-Art) und einen äußerst scheuen Tapir.
Sehr häufig begegnen uns Pampashirsche ("Veado Campeiro"), die kaum Scheu vor Mensch und Traktor haben und aus nächster Nähe betrachtet werden können. Den viel selteneren Sumpfhirsch ("Cervo-do-Pantanal") bekommen wir hingegen nur ein einziges Mal zu Gesicht während unseres gesamten Pantanalaufenthalts..
Gabriel und Danilo holen weitere Kamerafallen ein, denn das Projekt Tatu-Canastra geht jetzt, in der bevorstehenden Regenzeit, in die "Sommerpause", in der die Wissenschaftler ihre Ergebnisse im Büro in der Stadt bearbeiten. Die Feldarbeit wird - ja nach Witterung und Wasserstand - im April oder Mai fortgesetzt.
Gürteltier "Robert" hat ebenfalls seinen Transponder abgestreift, wir finden ihn nach längerer Suche mit dem Peilsender, aber das Gerät liegt irgendwo unterirdisch. Gabriel und Danilo werden später noch einmal alleine losziehen, mit einer Schaufel bewaffnet, und den Transponder ausgraben.
Ein ordentlicher Regenschauer über Mittag beschert uns eine kurze Erfrischung, aber die Temperaturen bleiben weiterhin über 30 Grad.
Am späten Nachmittag fährt uns Donizetti zu einem in der Nähe des Haupthauses gelegenen Gewässer. Dieser See führt immer Wasser, auch in der Trockenzeit. Der Boden ist überdeckt mit kleinen Steinen, sehr außergewöhnlich für den ansonsten sandigen Pantanalboden. Daher ist der See namengebend für die Fazenda: Baía das Pedras = Bucht der Steine.
Die Natur schenkt uns einen wundervollen Sonnenuntergang am Seeufer. Nach dem Abendessen stellt uns Gabriel noch die Hitliste "Best of Camera Traps" vor:
Gabriel zeigt uns auch einige Filme, die mit der teuren Video-Kamerafalle eingefangen wurde. Es sind tolle Aufzeichnungen dabei, z.B. von einem badenden Ameisenbär oder einem jungen Tapir mit seiner Mutter.
Nach der Präsentation fallen wir todmüde ins Bett - ich glaube, es ist noch nicht mal 21 Uhr.
Der nächste Morgen beschert uns einen ausgedehnten Ausritt über die Fazenda.
Die Wege sind teilweise schon so stark überschwemmt, daß wir nasse Füße bekommen. Andere, etwas höher gelegene Teile, bleiben savannenartig trocken. Wir sehen einen jungen Jabiru-Storch im Nest - hier im südlichen Pantanal nennt man den Vogel Tuiuiú.
Die Pferde der Fazenda gehören der Rasse "Cavalo Pantaneiro" an. Diese Pferderasse geht ursprünglich auf die argentinischen Criollos zurück, hat sich im Pantanal aber seit etwa 200 Jahren eigenständig weiterentwickelt. Die Pantaneiros sind klein - das durchschnittliche Stockmaß liegt bei 142 cm - aber unglaublich zäh und robust, einfach in der Handhabung, mit weichen Gängen ausgestattet und außerdem gut angepaßt an ihren Lebensraum mit Hitze, viel Feuchtigkeit und ständig nassen Hufen. Wir haben auf unseren Ausflügen Pferde gesichtet, die unverdrossen bis zum Bauch im Wasser standen und Grashalme gezupft haben. Vicente Coelho Lima Jurgielewicz, der Sohn von Dona Rita und Sr. Carlos, ist sehr engagiert für diese Pferderasse. Er ist Tierarzt und führt das Zuchtbuch des erst vor wenigen Jahren gegründeten Zuchtverbands.
Zur Mittagspause zelebriert Dona Rita mit einem ihrer Angestellten ein großes Schweine-Churrasco.
Hmmmmmm.... knusprig, saftig, lecker!!!
Am späten Nachmittag sind wir wieder mit unserem Traktor nebst Anhänger unterwegs. Hier sichten wir unseren einzigen Sumpfhirsch.
Wir fahren mitten durch die Rinderherden - etwa 3600 Rinder grasen auf den Weiden der Fazenda. Es fällt uns auf, daß auch immer mehrere Bullen bei den Kühen stehen, obwohl die Kühe doch künstlich besamt werden. Aber wo die künstliche Befruchtung nicht geklappt hat, verrichtet einer der Bullen den Job und die Jurgielewiczs erreichen eine enorme Fruchtbarkeitsrate auf ihrer Ranch.
Gezüchtet werden vor allem indische Nelore-Rinder, eine Zebu-Rasse, die an das tropische Klima besser angepaßt ist als europäische Rinderrassen. Beim Besamen werden auch Angus eingekreuzt, weil der Fleischmarkt diese Kreuzungen bevorzugt. Aber nur bei den reinrassigen Nelore-Kälbern werden die Kühe aufgezogen und auf der Fazenda zur Weiterzucht eingesetzt.
Am Sonntagmorgen nehmen wir Abschied von unseren Gürteltier-Experten und den Besuchern vom Naples Zoo, die die Baía das Pedras schon heute verlassen müssen. Wir bleiben nun mit Guide Stefan alleine zurück. Ein bißchen traurig sind wir schon, denn es war sehr spannend, so einen direkten Einblick in die Arbeit der Biologen zu bekommen.
Trotzdem setzen wir uns voller Tatendrang auf unseren Traktoranhänger und werden an diesem wunderschönen Morgen auch mit der Sichtung einer Vielzahl an diversen Tieren belohnt.
Ganz in der Nähe des Hauses, wo wir am ersten Tag ein Hyazinth-Ara-Paar auf einer abgestorbenen Palme gesichtet hatten, entdecken wir nun in einem Loch im Palmenstamm ein Ara-Küken.
Wir betrachten es nur kurz und schleichen uns dann davon, um das Jungtier nicht zu verunsichern.
Adlerauge Donizetti erspäht vom Lenkrad des Traktors aus einen Ameisenbären (Tamanduá Mirim) im hohen Gras.
Behende springt er vom Traktor und treibt das Tier vor uns quer über den Weg, wo es sich auf einen Baum flüchtet und wir in aller Ruhe fotografieren können.
An einem ausgedehnten Wasserloch beobachten wir Reiher, Störche, Capivaras und Brillenkaimane (Jacaré) einträchtig vereint. Keiner scheint sich an der Anwesenheit des anderen zu stören.
Die Kaimane liegen normalerweise regungslos im Wasser und warten, daß ein Fisch vorüber schwimmt. Trotz ihrer scheinbar stoischen Ruhe können sie sich aber blitzschnell bewegen. Die Brillenkaimane, die über 60 Jahre alt werden können, werden im Schnitt etwa 2 Meter lang (angeblich bis zu 2,70 m) und bis zu 60 kg schwer. Sie ernähren sich hauptsächlich von Fischen, Amphibien und Wasservögeln. Menschen stehen also nicht auf dem Speiseplan!
Die seltsame Holzkonstruktion ist übrigens eine Tapirfalle
Sie betrifft ein weiteres Forschungsprojekt, das von Baía das Pedras unterstützt wird. Über Monate wird Salz in den Fallen deponiert und die Tiere damit angefüttert - langsam aber sicher verlieren sie ihre Scheu vor dem setsamen Gebilde, denn es passiert ja nichts. Im April/Mai werden die Fallen dann "scharf gemacht", so daß sich die Falltür schließt, wenn ein Tapir an das Salz geht. Die Tiere werden dann vom Tierarzt untersucht, vermessen und gewogen, und sie erhalten einen Transponder an einem Halsband, der es in Zukunft einfacher macht, dieses spezielle Tier zu orten, seine Wege zu verfolgen und seine Gewohnheiten zu studieren.
Nach der Mittagspause sehen wir Donizetti und seinen Viehhirten bei der Rinderarbeit zu.
Am Nachmittag drehen wir noch eine Bootsrunde auf dem See. Bert besteht diesmal darauf, selbst zu rudern, wir nehmen also das zweite Boot.
Bert rudert bis unter die Mangroven. Wir fahren durch den überschwemmten Wald, bis das Wasser so seicht wird, daß wir mit dem Boot aufsetzen und uns mit den Rudern wieder abstossen müssen, um zurück ins tiefere Wasser zu gelangen.
Am Ufer - dort, wo wir gerade noch mit dem Boot herumgepaddelt sind - liegen ein paar Jacarés. Sie beachten uns nicht. Wir machen ein paar Bilder und geniessen noch unseren letzten Sonnenuntergang im Pantanal.
Heute ist der 17. Dezember und wir drehen mit Donizetti und Stefan noch eine letzte Runde mit dem Traktor über die Fazenda. Wir werden die wilden Ritte auf dem Traktoranhänger vermissen.
Unser Guide Stefan Grol, ein Vogelexperte par excellence, ist außerdem ein begnadeter Künstler, der seine Inspiration hier im einzigartigen Biotop des Pantanal findet.
Jetzt ist auch für uns der Zeitpunkt des Abschieds gekommen. Schweren Herzens laden wir unsere Koffer in das kleine Flugzeug. Einmal noch bewundern wir diese Landschaft, die aus der Luft ganz besonders zur Geltung kommt.
Unser Pilot fliegt uns nach Campo Grande, wo wir auf einem kleinen Flugfeld landen. Stefan Grol bringt uns noch direkt in die Stadt, in der er wohnt, und verabschiedet sich von uns. Wir werden eine Nacht hier im Hotel verbringen, bevor wir morgen zum nächsten Abenteuer aufbrechen.