Dies war wohl unser letztes "Ammerfelder" Leonhardi.
Natürlich nehmen wir auch künftig am Leonhardiritt in Kienberg teil - allerdings nur noch für uns und unsere Pferde, in aller Ruhe und Frieden, nicht mehr einbezogen in die kleine Gruppe, die als "offizielle Delegation" von der Ammerfelder Kirche ins Nachbardorf hinüberpilgert.
Unser Leonhardi 2017 lief so ab:
Am Vortag waren schon mal alle Tiere vorgeputzt und die Blumensträußchen vorbereitet worden. Herrliche Chrysanthemen in weiß und purpur hatten wir gekauft, um ein würdiges und festliches Bild abzugeben für das 300-jährige Jubiläum der St. Leonhardskirche in Kienberg. Aufgestanden sind wir am Sonntag um halb sechs, haben nach kurzem Frühstück alle vier Pferde und unsere Kutsche auf Hochglanz gebracht, die Mähnen zum Netz geflochten und den üppigen Blumenschmuck an Mähne, Schweif und an der Kutsche angebracht. Passend zum feierlichen Rahmen haben wir uns für eine historische Tracht aus dem 18. Jahrhundert entschieden. Mein Gewand ist die Replik eines Votivbilds von 1797 aus dem nahe gelegenen Kloster Niederschönenfeld, Bert trug einfach seine hirschlederne Bundhose, einen Dreispitz und den warmen Kutschermantel.
Pünktlich um viertel vor zehn fuhren wir an der Ammerfelder Kirche vor, wo schon die Ministranten und eine Hand voll Gläubige warteten. Bert hatte auf dem Kutschbock unseres Mylords die Fahrleinen in der Hand, an Bord der zweispännigen Kutsche waren unsere 9-jährige Nichte und eine gleichaltrige Freundin. Ich saß im festlichen Trachtengewand - ziemlich unbeweglich mit eng geschnürtem Mieder, weitem Rock und in den Haaren festgesteckter Riegelhaube - auf einer höchst aufgekratzten Gilette, die mit ihren 24 Jahren noch meinte, herumtänzeln zu müssen. Muli Bacardi war total überdreht - "endlich ist mal was los" - und war von mir nur mit größter Konzentration und ständiger Zurechtweisung als Handpferd zu führen. Nachdem er beim Warten auf den verspäteten Pfarrer sogar auf Gilette aufgesprungen ist, ich ihn nicht abwehren konnte und nur durch viel Glück dabei nicht verletzt wurde, sprang unser Freund und Nachbar Hubert ein, nahm mir Bacardi ab und betätigte sich im weiteren Verlauf der Veranstaltung als Mulibändiger - womit er alle Hände voll zu tun hatte. So renitent wie an diesem Sonntag habe ich Bacardi bislang noch nie erlebt, er war völlig aus dem Häuschen. Huberts Frau Ingrid auf ihrer Scheckstute Ronja rundete - sozusagen als ruhender Pol - das Bild der Ammerfelder Reiter und Fahrer ab.
Beim geduldigen Warten auf den Pfarrer kam es - neben Bacardis Eskapaden - dazu, daß sich unser Jungpferd Emmeram den Kopf an der Deichsel scheuerte und mit dem Kopfstück am Ring des Aufhalters eingefädelte. Er hing mit dem Gebiss seitlich an der Deichsel fest und konnte den Kopf nicht mehr bewegen. Keiner von uns hatte die Möglichkeit, zu seinem Kopf zu eilen und die Lederschlaufe wieder von der Deichsel zu lösen. Mit den Kindern auf der Kutsche konnte Bert ja nicht einfach die Leinen loslassen und nach vorne laufen. Ich kam vom Pferd aus nicht nahe genug ran und Hubert hatte Mühe, Bacardi überhaupt im Zaum zu halten.
Dreimal hat Bert die wartenden Gläubigen aufgefordert, herzukommen und zu helfen - in immer dringlicherem Tonfall, da Emmeram immer heftiger versuchte, sich selbst zu befreien. Es wäre nur ein simpler Handgriff gewesen, aber keiner fühlte sich angesprochen. Zwei unserer ehrwürdigen Ammerfelder Altbauern standen ein paar Meter entfernt, die Hände in den Hosentaschen, und haben mal abgewartet, was jetzt wohl passieren wird. Dann ist endlich Emmerams Lederkopfstück gerissen und er war frei und beruhigte sich wieder. Mehr ist zum Glück nicht passiert, aber das hätte ganz anders ausgehen können, besonders mit den zwei kleinen Mädchen in der Kutsche.
Hubert hat es geschafft, mir das widerspenstige Muli zu übergeben und die Kutschpferde vorne zu halten, so daß auch Bert absteigen konnte. Zu zweit konnten sie das Kopfstück notdürftig flicken, damit waren wir leidlich fahrbereit, als der Pfarrer dann eintraf.
Bert, der sein Herz auf der Zunge trägt, verlieh seinem Unmut darüber Ausdruck, daß ein halbes Dutzend erwachsener Menschen nicht in der Lage war, drei Schritte zu uns herüber zu kommen und die Lederschlaufe von der Deichsel zu befreien. Daraufhin eskalierte der Streit. Eine junge Frau aus dem Nachbarort Emskeim meinte, wir könnten nicht erwarten, daß jemand zu den Pferden hingehe, um zu helfen, denn sie kennen sich ja mit den Tieren nicht aus. Und schließlich sei das ja unser Problem, denn es sind ja unsere Pferde. Eine traurige Ansicht innerhalb einer Dorfgemeinschaft und einem angeblich christlichen Festumzug. Wenn wir auf einer Museumsveranstaltung einen wildfremden Zuschauer bitten, mal wo Hand anzulegen, dann war das noch nie ein Problem, auch wenn diejenigen "Stadterer" waren und sich nicht auskennen. Nur im eigenen Dorf ist das wohl zu viel verlangt.
Die Stimmung war eisig - ich habe mich in zehn Jahren in Ammerfeld nie so unwillkommen gefühlt wie dort vor der Kirche, beim Warten auf den Pfarrer. Wir waren eigentlich der Ansicht, daß wir der Gemeinschaft einen Freundschaftsdienst erweisen, wenn wir den Pfarrer zu seiner Leonhardifahrt in unserer Kutsche zur Wallfahrtskirche rüberfahren. Aber nicht mal im Notfall hielten es selbst diejenigen, die sich nach eigenem Bekunden länger mit Pferden auskennen als wir, für angebracht, auch nur einen Finger zu unserer Hilfe zu rühren. Statt dessen wurde uns deutlich demonstriert, daß wir auf dem offiziell angekündigten "Festumzug" zum Leonhardiritt nach Kienberg unerwünscht sind, sei es weil wir ansonsten kein Interesse an der katholischen Kirche zeigen oder einfach nur Zugereiste sind. Damit stehen wir natürlich nicht allein da, denn mehr als die Hälfte der Ammerfelder Einwohner sind keine "Alteingesessenen". Die überschaubare Teilnahmerzahl vor der Kirche zeigt ohnehin, daß auch andere sich wohl ähnlich willkommen fühlen und statt dessen lieber einzeln als Zuschauer nach Kienberg gehen. Viele der Gesichter haben wir vom Umzug aus erkannt und die waren deutlich freundlicher und herzlicher als der Empfang vor der Kirche - Vielen Dank und liebe Grüße an die Ammerfelder mit Herz!